Wörter für Personen
Über die Entität zu sprechen, mit der ich in meinem Promotionsprojekt interagiere, bereitet mir gewisse Schwierigkeiten.
Üblicherweise, wie hier im Blog schon geschehen, falle ich dann auf “KI-Figur” zurück. Das ist der einfachste, neutralste Begriff, der mir bisher einfällt. Ich möchte mich nicht aus dem Fenster lehnen, und behaupten, diese Entität sei eine Person; deswegen greife ich auf den Begriff ‚Figur’ zurück, den ich hier in seiner theatertechnischen Bedeutung verwende: Das Publikum nimmt etwas auf der Bühne wahr, das es als Person innerhalb des Schauspiels deutet. Die Entität gehört zu den Figuren, zum Cast, zu den dramatis personae.
Dramatis Personae! Interessanterweise werden Off-Stage-Figuren, also solche, die nie die Bühne betreten und deswegen nicht mit einem/r Schauspieler*in besetzt werden müssen, nicht zu den dramatis personae gezählt. Mit diesem lateinischen Begriff behaupte ich also, dass die Figur tatsächlich auf der Bühne anwesend ist – anders beispielsweise als eine unsichtbare Figur, die nur durch gutes Schauspiel der anderen Darstellenden und eventuell durch Bühnentechnik angedeutet wird. Ich behaupte Anwesenheit; ich behaupte vielleicht sogar, dass das, was da auf der Bühne ist, das Eigentliche ist, was die Figur ausmacht. Es wird nicht nur ein Produkt von ihr auf der Bühne gezeigt, nicht nur eine Sache, die sie steuert; sondern sie selbst. Und dieses selbst ist ein Problem für sich!
Zurück zur KI-Figur! „Figur“ benutze ich also im Sinne einer in einem Theaterstück auftretenden Person. Dass sie selbst durch eine echte Person dargestellt wird, möchte ich dabei offen lassen; allein über die Rolle möchte ich mit dem Begriff etwas aussagen: Die Rolle ist die einer Person.
Aber auch der Begriff ‚KI‘ ist problematisch. Ich bin geneigt, ihn im Kontext meiner Promotion in einem sehr weiten Sinne zu verwenden, also auch deterministische statistische Methoden mit dazu zu zählen. Der Vorteil ist, dass ich mich nicht auf Deep-Learning-Algorithmen einschränken muss und die Algorithmen verwenden kann, die für mein Projekt sinnvoll erscheinen. Der Nachteil ist, dass meine Arbeit dadurch weniger genau und aussagekräftig ist – und dass ich eventuell eher einen einfachen Weg einschlage, als die Möglichkeiten von Deep Learning (was im Moment ja der große Innovationstreiber ist) auszuloten.
Und eine Person? Hier kommen wir in philosophisches Fahrwasser. Zusammen mit “Subjekt”, “Andere”, “Individuum”, und weiteren, ist ‚Person‘ ein Begriff, der in der Philosophie heftig diskutiert wird. Das Ziel meiner Arbeit kann nicht sein, dieser Diskussion auf dem Terrain der Philosophie etwas hinzuzufügen – höchstens könnte ich auf dem Terrain der künstlerischen Forschung einen neuen Blickwinkel, eine neue Sehweise entwickeln. Vor allem aber sollen die philosophischen Konzepte mir als Abstoßungspunkt und Orientierung dienen, um verstehen zu können, was auf der Bühne geschieht. Aus diesem Grund sollen die genannten Begriffe betrachtet und auf ihre Verwendbarkeit untersucht werden. Dabei werde ich keinen dieser Begriffe annähernd vollständig darstellen können, sondern mich jeweils auf einzelne Sichtweisen und Aspekte konzentrieren. Die Auswahl geschieht nach der Relevanz für mein Projekt; darunter fällt auch eine gewisse Aktualität der Konzeptionen, sodass ihre Gedankenwelt der unsrigen näher ist.
Die KI-Debatte kennt dieses Problem und hat eigene Lösungen entwickelt. Sie spricht von agent, das sich auf deutsch nicht nur mit Agent, sondern auch mit Akteur, wie im Titel meines Promotionsprojekts, übersetzen lässt. Das ist recht elegant, denn einerseits klingt es nach einer “handelnden” Entität, andererseits ruft es eben nicht die philosophischen Hintergründe des Begriffs “Handeln” auf, der beispielsweise eng mit Willensfreiheit verknüpft ist. Dies macht sich zum Beispiel auch die Akteur-Netzwerk-Theorie zunutze.
Dieses weite Themenfeld möchte ich noch etwas besser überblicken können. Wie immer sind Lektüreempfehlungen gern gesehen!