Dies sind erste Gedanken zu der Methode, die in meiner Promotion zur Anwendung kommen soll: Künstlerische Forschung. Das ist eine relativ neue Art der Forschung und aus diesem Grund wird die genaue Ausgestaltung noch debattiert. Ich habe darüber noch nicht so viel gelesen und gelernt, wie ich möchte um eine fundierte Ansicht zu haben, habe jedoch einige Gedanken, die ich hier ordnen möchte. Ich bin auf der Suche nach Literatur, die die Gedanken, die ich mir da mache, stützt oder in Frage stellt. Vielleicht ist das auch so offensichtlich, dass es schon fertigdiskutiert ist? Sind die Verbindungen, die ich im Text ziehe, überhaupt zu halten?

Gedanken zum Begriff ‚Künstlerische Forschung‘

Der Begriff ‚Künstlerische Forschung‘ soll der Annahme Rechnung tragen, dass durch Kunst eine bestimme Art von Wissen in die Welt gelangt. Durch künstlerische Praxis wird der Kultur, in der diese Praxis stattfindet, etwas hinzugefügt.

Dieses „etwas“, das hinzugefügt wird, lässt sich an unterschiedlichen Stellen vermuten: Es könnte sich in der Kultur als Ganze finden lassen: die Gesellschaft wird durch die Kunst verändert (wenn auch teils nur sehr geringfügig). Andererseits könnte es sich auf das jeweilige Publikum – diejenigen, die das Kunstwerk direkt erfahren – beschränken. Es könnte sich aber auch auf die Kunstschaffenden selbst beschränken, die durch die künstlerische Praxis verändert werden.

An dieser Stelle fällt auf, dass die letzten Sätze zwischen den Begriffen ‚Kunst‘, ‚Kunstwerk‘ und ‚künstlerische Praxis‘ wechseln und sie scheinbar synonym gebraucht werden. Die Begriffe unterscheiden sich jedoch – der unterschiedliche, analoge Gebrauch kommt daher, dass in den drei unterschiedlichen Sichtweisen drei Perspektiven auf Kunst wirksam sind, die jeweils andere Aspekte von Kunst unterstreichen. Die Perspektiven hängen also von der jeweiligen Kunstkonzeption ab: Je nach Gewichtung der Aspekte der Kunst wird auch eine andere Perspektive zu wählen sein, was im Folgenden verdeutlicht werden soll.

Künstlerische Praxis und die jeweiligen Kunstschaffenden

Die dritte der Perspektiven, die sich primär auf die künstlerische Praxis und deren Wirkung auf den*die einzelne*n Kunstschaffende*n bezieht, hebt ab auf die „privilegierte epistemische Position“1 der künstlerisch tätigen Person. Der Vorzug an dieser Perspektive ist, dass der Aspekt der Tätigkeit und damit der Verkörperung des Wissens betont wird. Damit ruft er philosophische praxeologische Positionen auf – wie die aristotelische Unterscheidung zwischen Herstellungshandeln (poiesis) und dem selbstzweckhaften Handeln (praxis), die sich im Werk Hannah Arendts wiederfindet, oder der Perspektive auf Leiblichkeit Merleau-Pontys – und verankert so die Künstlerische Forschung in aktuellen philosophischen Diskursen. Wissen, das aus Künstlerischer Forschung resultiert, ist in diesem Fall nur schwer – und unter Verlusten – verbalisierbar. Dies heißt aber nicht, dass das Wissen minderwertig ist, sondern dass es eine besondere Art von Wissen ist, die von anderen Wissenschaften nicht erzeugt werden kann, was wiederum die Künstlerische Forschung in ihrer Eigenart rechtfertigt.

Der Nachteil dieser Perspektive ist, dass dieses Wissen nur schwer von den Kunstschaffenden auf das Publikum übertragen werden kann und, wenn der*die Künstler*in Wissen vor allem für sich selbst generiert, sich die Frage stellt, wer nun eigentlich die Adressat*innen sind. Eine Lösung könnte sein, die Zielsetzung der Künstlerischen Forschung aufzuteilen in einen Forschungsteil, dessen Adressat*innen die Kunstschaffenden selbst sind, und einen Kunst-Teil, der auf das Publikum abzielt. Dies hätte dann jedoch Auswirkungen auf eine der Pointen der Künstlerischen Forschung, nämlich dass dort Kunst und Forschung untrennbar miteinander verbunden sind.

Kunstwerk und das Publikum

Die zweite der oben genannten Perspektiven, die das durch Künstlerische Forschung generierte Wissen im jeweiligen Publikum verortet, wird oben mit der Rezeption eines ‚Kunstwerks‘ verknüpft.

Der Begriff ‚Kunstwerk‘ verleitet zur Auffassung, dass Kunst auf die Herstellung eines (wie auch immer gearteten, eventuell sogar abstrakten) Objektes abzielt und darin aufgeht. Diese Auffassung ist in den letzten Jahrzehnten stark angegriffen worden und soll hier nicht vertreten werden. Jedoch auch ohne das Kunstwerk absolut zu setzen: Das Publikum wird primär mit dem konfrontiert, was als Kunstwerk bezeichnet werden kann – oder, anders gewichtet: Das, was wir ‚Kunstwerk‘ nennen würden, ist üblicherweise das, was dem Publikum gezeigt wird. In der bildenden Kunst ist dies einfach das Bild oder die Skulptur, im Theater die Aufführung etc.2 Wenn das Publikum also Erfahrungen oder Wissen aus der Kunst ziehen soll, muss es das aus dem Erlebnis des Kunstwerks nehmen. Deswegen ist dieses Erlebnis die wichtigste Möglichkeit, Wissen entstehen zu lassen. Texte in Programmheften und Ähnliches würden zwar auch Wissen generieren, dies ist jedoch explizites, propositionales Wissen, das nicht das Wissen ist, auf das Künstlerische Forschung abzielt.

Der Vorzug dieser Position ist die leichte Einsichtigkeit. Sobald zuerkannt wird, dass durch Kunsterlebnisse eine Art Wissen generiert wird, ist dieses Wissen problemlos in denen zu verorten, die die Kunstjeweils erlebt haben. Die Schwäche ist oben schon angedeutet worden: Sobald der Begriff des Kunstwerks fragwürdig wird oder weniger Gewicht erhält, wird auch diese Position problematisch.

Kunst und die Gesellschaft

Die weiteste Perspektive hebt den Blick über einzelne Kunstwerke hinweg und richtet ihn auf ‚Kunst‘ und deren Wirkung auf die ‚Gesellschaft‘. Künstler*innen erschaffen Kunst, die eine Art von Veränderung in der Gesellschaft bewirkt und das geteilte Wissen der (oder einer) Kultur bereichert.

Eine Schwäche der Position ist sicherlich, dass sowohl ‚Kunst‘ als auch ‚Gesellschaft‘ oder ‚Kultur‘ nicht leicht zu definieren sind und hier vielleicht sogar absichtlich vage bleiben. Auch die Frage, ob die Adressatin die oder nur eine Kultur bzw. Gesellschaft sein soll, müsste in einer solchen Konzeption genauer zu klären sein. Auch der genaue Gehalt des Wissens, das generiert wird, ist schwer zu fassen. Andererseits betont diese Position die besondere Würde der Kunst und damit auch ihren besonderen Stellenwert. Sie wäre demnach ein guter Ausgangspunkt für kulturpolitische Argumentationen, um beispielsweise Künstlerische Forschung als „für die Gesellschaft nützlich oder wertvoll“ auszuzeichnen oder von Unterhaltung und Selbstverwirklichung abzugrenzen.

Fazit

Welche der drei Perspektiven gewählt wird, hat demnach weitreichende Folgen – sowohl für die Argumentation, die benötigt wird, um Künstlerische Forschung zu rechtfertigen, als auch für das, was mit der jeweiligen Perspektive argumentativ gestützt werden kann. Höchstwahrscheinlich liegen in konkreter Künstlerischer Forschung Mischungen der drei Positionen vor, dennoch könnte eine künstliche Trennung methodologische Präzision begünstigen.

Lässt sich entscheiden, welche der Sichtweisen die richtige oder die plausibelste ist? An dieser Stelle wäre eine überblicksartige Untersuchung bereits realisierter Künstlerischer Forschung sinnvoll: Inwiefern werden die drei Sichtweisen in den Projekten wirksam? Ist eine davon praktikabler als andere? Welche dieser Sichtweisen erklärt vorliegende Beobachtungen am besten?


  1. Diese Formulierung ist sehr schön und sicher nicht von mir; ich bin auf der Suche nach der Quelle… Sachdienliche Hinweise gerne per Mail! ↩︎

  2. Inwiefern diese ungefähre Festlegung des Begriffs angreifbar ist und damit die folgenden Ausführungen schwächer werden, sollte Thema einer weiteren Betrachtung sein. ↩︎