Wo entsteht Wissen?

Eine Frage, die mich umtreibt, seitdem ich mich mit Künstlerischer Forschung beschäftige, ist die Frage nach den Träger*innen des “Wissens”, das durch die Forschung generiert wird. Im Falle einer wissenschaftlichen Forschung ist die Antwort leicht zu geben: Die Forschenden erlangen als Ergebnis ihrer Forschungstätigkeit Wissen, das sie dann zusätzlich der wissenschaftlichen Gemeinschaft in Form von Veröffentlichungen oder Lehre zur Verfügung stellen. (Inwieweit etwas wissenschaftliche Forschung genannt werden kann, das auf diesen letzten Schritt verzichtet, ist eine andere Frage, die im Rahmen meiner Dissertation nicht beachten werde.) Für die Zwecke meiner Ausführungen hier interessiert mich der Vorgang, wenn aus der Forschungstätigkeit etwas wird, das im weitesten Sinne “Wissen”, “Einsicht” oder “Erkenntins”1 der forschenden Person genannt werden kann.

Wissen in der künstlerischen Forschung

Wird die künstlerische Forschung ganz analog zur wissenschaftlichen Forschung genommen, so hieße das, im Rahmen der Kunstproduktion oder -aufführung entstehe eine Einsicht in den Kunstschaffenden, die sie dann veröffentlichten – dies könnte eine theoretische Publikation sein (wie sie beispielsweise im Rahmen meiner Promotion erwartet wird), es könnte aber auch das Kunstwerk selbst sein, in dem die Einsichten der Kunstschaffenden manifestiert sind.

Eine andere Möglichkeit ist, von diesem Vorbild der wissenschaftlichen Forschung etwas abzugehen und die Entstehung der Erkenntnisse nicht nur in den Kunstschaffenden, sondern in allen Beteiligten zu sehen. Dieser Gedanke ist nicht neu, sondern wird in der Performativitätskonzeption Erika Fischer-Lichtes bereits aufgegriffen. Dort wird das Publikum als zentraler Bestandteil der Aufführung gesehen, das durch seine Anwesenheit und Reaktionen die Aufführung erst zu dem macht, was sie ist. Für die Künstlerischen Forschung könnte dies bedeuten, dass bei einer Aufführung einer Performance oder einer Präsentation eines Kunstwerks nicht nur die Kunstschaffenden forschen, sondern auch das Publikum.

Damit wird aber die Beschreibung der Erkenntnis, die durch die Künstlerische Forschung entsteht, erschwert: Es müssen die unterschiedlichen Perspektiven der unterschiedlichen Beteiligten in Betracht gezogen werden; aus dieser Vielstimmigkeit ergibt sich eine Vieldeutigkeit, die einem Wissenschaftlichkeitsanspruch der künstlerischen Forschung entgegensteht. Es wird nicht ein Ergebnis entstehen, es wird keine einzelne Forschungsfrage beantwortet. Oft werden sogar Beteiligte die in ihnen entstandene Erkenntnis nicht verbalisieren können – was jedoch nicht heißt, dass sie nicht existiert.

Diese Perspektive wendet sich ab von einem einzelnen Künstlersubjekt, das als singuläres Genie die Erkenntnis – zwar nicht aus dem Nichts erschafft, wie es dem Genie-Begriff eigentlich entsprechen würde, aber immerhin – alleine forscht und feststellt, inwiefern es den Wissensschatz der Welt bereichert hat. Stattdessen steht da neben der Forschung auch die Lehre, das Publizieren, das Mit-Einbeziehen diverser Perspektiven. Ein pädagogischerer und demokratischerer Ansatz.


  1. Die Begriffe “Wissen” und “Erkenntnis” sind im Zusammenhang mit künstlerischer Forschung auch problematisch; wie Anke Haarmann in ihrer Monographie “Artistic Research” ausführt. Vgl. Haarmann, Anke: Artistic Research. Eine epistemologische Ästhetik. Bielefeld 2019. S. 29f, sowie S. 81f. ↩︎