Publikumsbeteiligung ist unsexy
Ich fürchte, ich bin Pädagoge durch und durch. Ich erkläre gerne Dinge, höre mich selbst gerne reden, bin sozial (ganz besonders, wenn ich Gruppen anleiten darf); ich führe gerne Leute zu neuen Erkenntnissen, organisiere Projekte. Und ich kann all diese Dinge gut.
Ich will Kunst machen. The real thing. Oder Wissenschaft. UND Wissenschaft. Dings. Sehr ernsthaftes, elitenwürdiges, Spitzendings. Niveau+++. Modern, cutting edge, präzise, genau, fundiert.
Bear with me.
Spitzendings ist nicht Pädagogik. Pädagogik ist Kindergarten. Pädagogik ist “Wir senken das Niveau, sodass jetzt erstmal alle mitkommen.”.1 Man kann Gesang (und andere klassische Musik) auf zwei Arten studieren: künstlerisch oder pädagogisch. Die, die wirklich gut sind, die studieren natürlich künstlerisch. Weil sie sind ja gut genug, um später ausschließlich durch Konzerttätigkeit Geld zu verdienen. Mein Bachelorstudiengang war der anspruchvollste der gesamten Hochschule. Bis auf, dass es eine Musikakademie war, und keine Musikhochschule. Ich sollte auch erwähnen, dass die Akademie nur einen eingzigen Studiengang anbietet.2 Nun. Dieser eine Studiengang nennt sich künstlerisch-pädagogisch. An der Akademie wird viel Wert darauf gelegt, dass es nicht “nur” pädagogisch ist. Denn wir sind auch gut! Wir stehen sozusagen zwischen den Niveaus der nurpädagogischen und der reinkünstlerischen Studiengänge… Bis auf, dass dort üblicherweise die studieren, die bei den “großen” Hochschulen keinen Platz, auch nicht pädagogisch, bekommen haben. Die Wiesbadener Musikakademie hat auch ihren Stolz.
Aber ich schweife ab. Zurück zum Spitzendings, das ich machen will. Sein will.
Pädagogik ist was für Frauen. Realistisch-demütig: Mir ist klar, dass ich mein Brot nicht in der Laeizshalle verdienen werde. Ein sicheres, regelmäßiges Zubrot ist diese Pädagogik. Lenkt halt von der Kunst ab, aber dafür wird eins nicht vom Hunger abgelenkt. Aber unsexy. Nicht mutig, nicht laut, nicht beeindruckend.
Es ist schon wieder das Genie. Es ist wie immer der einsame herausragende Tüp, der vollständig uneingebunden in irgendein unterstützendes Netzwerk, und natürlich entgegen aller zeitgenössisch vorherrschenden Denkströmungen, unzeitgemäß einen tanzenden Stern gebiert. Wie außerordentlich ungesund.
Das will ich sein!
Aber das ist eigentlich ein Topos, gegen den die feministische Theorie andenkt. Klar können wir versuchen, das Patriarchat beizubehalten und zu versuchen, auf die Oberseite der Planke zu klettern: Ich bin keine von denen, ich bin ein Cool Girl3. Ich mach keine Pädagogik, denn Pädagogik ist für Mädchen – verschwiegen wird die folgende Prämisse: Frauen sind weniger wert. Was Frauen tun, ist weniger Wert. Was weiblich konnotiert ist, ist weniger wert.
Was wenig wert ist, kann keine Kunst sein.
Und das Publikum? Das sitzt still da und staunt die revolutionären Auswürfe des Genies an. Keineswegs sollte es beteilgt werden, denn dann wären ja mittelmäßige Personen am Kunstwerk beteiligt, was selbiges auch mittelmäßig machen würde.
Auftritt Fischer-Lichte, Erika, eine Frau seiend, das Publikum einbindend, Kunst und keine Pädagogik machend. Oder doch?
Oder sowohl-als-auch? Gleich darauf Auftritt Donna Haraway, mit genügend Sowohl-als-Auchen unter dem Arm, um alle zu versorgen. Schwarz-und-weiß ist genauso eine patriarchale Position wie “Was Pädagogik ist, kann keine Kunst sein”4 und “Pädagogik ist für Frauen”.5
Ich hoffe, ich kann in meiner Arbeit alle drei verneinen.
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Hopsa, Adorno, wer hat dich denn eingeladen? ↩︎
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Auch das ist eine Lüge, es gibt dort “IGP”, Instrumental- und Gesangspädagogik, und “EMP”, Elementare Musikpädagogik, wobei zweitere auch künstlerische Prüfungen im instrumentalen Hauptfach und in einer faszinierenden Art Ausdruckstanz hatten, und deswegen in meiner Perspektive teils einen künstlerischeren Anspruch hatten als die sehr handwerklich orientierten IGP-Studierenden. ↩︎
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https://medium.com/the-establishment/the-dangers-of-the-cool-girl-ideal-76e59cf0f6ec ↩︎
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WIESENGRUND! JETZABERRAUSHIER! ↩︎
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Und ich erwähne schon gar nicht die Kritik am Werk-Werk! Denke aber daran und an Meredith Nicoll und Cathy Berberian. ↩︎