Ich bin ziemlich zufrieden mit dem Experiment. Ich habe natürlich nicht annähernd alle Quellen gesichtet, die ich gefunden habe, aber einen guten ersten Überblick über die Thematik gefunden und einige schnelle Anknüpfungspunkte, wenn ich diese Thematik vertiefen möchte. Außerdem ist eine Online-Ausstellung entstanden, mit der ich auch sehr zufrieden bin – es war sehr schön, auch wieder etwas herzustellen und nicht nur rein theoretisch zu arbeiten.

Ich habe mich tempomäßig relativ stark unter Druck gesetzt und dadurch viele Texte nicht so genau gelesen, wie ich das gerne möchte. Ich denke, es wird bei einem künftigen solchen Projekt sinnvoll sein, die Texte stärker einzugrenzen, und sich intensiver mit einzelnen Texten zu beschäftigen; so dass ich die Möglichkeit habe, die Texte mehrfach zu lesen und zu ausgiebiger zu dokumentieren.

Wofür diese Oberflächlichkeit aber extrem gut war, ist das Generieren von neuen Ideen. Ich hatte mehrere Ideen für kleine Kunstprojekte, von denen ich nur die Ausstellung verwirklichen konnte.

Seiler: Zwischen Anwesenheit und Abwesenheit

Dass ich mit Sascha Seilers „Zwischen Anwesenheit und Abwesenheit“ angefangen habe, war ein Glücksgriff, weil darin die Thematik gut verständlich und überblickshaft dargelegt wird. Besonders die Einleitung und der erste Abschnitt sind für mich interessant: Seiler, der sich dabei auf andere Quellen bezieht, bestimmt die Moderne als Epoche der Abwesenheit, die Postmoderne als Epoche des Verschwindens (14). Zum Verschwinden, und aus meiner Sicht auch zur Abwesenheit, gehören laut Seiler immer ein wahrnehmendes Subjekt und ein wahrgenommenes Subjekt oder Objekt. Seiler grenzt das Verschwinden – beziehungsweise die Abwesenheit – deutlich vom Tod ab (16). Im ersten Abschnitt des Buchs erörtert er die drei Begriffe Anwesenheit, Abwesenheit und verschwinden, zunächst einzeln und in dann in ihrem Zusammenhang. Seiler weißt mit Bergson auf den Zusammenhang von Abwesenheit und Vergangenheit hin; damit auf dem Zusammenhang zur Erinnerung. Kunst kann diese Wieder-Vergegenwärtigung, die bei Erinnerung passiert, noch stärker ausführen und ist dadurch für Abwesenheit eventuell noch ein interessanteres Thema. Seiler geht auch knapp auf Derrida ein: Zeichen beziehen sich laut Derrida nicht auf etwas in der Welt, sondern auf andere Zeichen, und sind deswegen durch Abwesenheit charakterisiert. Eine weitere relevante Differenzierung ist die zwischen der Abwesenheit und dem Nichts:

Es ist also nie das Nichts als solches, das stört, sondern die Lücke, die das Nichts bildet, welche eine später mögliche oder vergangene, jetzt nicht mögliche oder unmögliche Präsenz von Etwas anzeigt.1

Interessant ist auch, dass Seiler gegen Ende dieses Abschnitts eine Art Katalog von möglichen Arten des Verschwindens und von Kriterien des Verschwindens auflistet (69ff).

Ein interessanter Aspekt für mich ist, dass ich sonst philosophisch arbeite, in diesem Fall aber mit im Hinblick auf eine künstlerische Praxis arbeite und damit die literatur- und theaterwissenschaftlichen Perspektiven für mich auch sehr relevant sein dürfen.

Schmitz-Emans: Schrift und Abwesenheit

Eine zweite Perspektive, die ich intensiver rezipieren konnte, ist die von Monika Schmitz-Emans’ „Schrift und Abwesenheit“. Die Monographie ist für mich schwerer zugänglich als die von Seiler. Schmitz-Emans Ausführungen stimmen sehr stark mit dem überein, was ich über Derrida und Abwesenheit zu wissen glaube. Deshalb wundert es mich etwas, dass sie Derrida in ihrer Monographie kaum erwähnt. Schmitz-Emans vollzieht nach, inwiefern Schrift Abwesenheit bedingt. Der Text ist nicht so literaturwissenschaftlich ausgerichtet wie der von Seiler, bezieht sich aber dennoch großenteils auf Belletristik.

Der Fokus geht eher auf Schrift und nicht so sehr auf Abwesenheit, weswegen Schmitz-Emans Monographie keine vordringliche Quelle für meine Arbeit sein wird – es sei denn, ich kann noch interessante Dinge entwickeln aus der Opposition zwischen Praxis/Kunst und Theorie/Schrift. Schmitz-Emans Gedanken würden eine Aufwertung der Schrift – der Abwesenheit – ermöglichen. Das ist relativ nah an meiner Thematik, eben genau weil ich, auf einer anderen Ebene, Schrift und Abwesenheit verbinden muss: In meinem Fall ist es nicht so, dass eine Abwesenheit stattfindet, weil Schrift verwendet wird, sondern es muss Schrift verwendet werden, weil eine Abwesenheit stattfindet.

Wie weiter?

Wenn ich wieder in dieses Thema einsteigen möchte, dann sollte ich besonders bei Drew Leder weitermachen; aber auch Derrida, und die Literatur, auf die sich Seiler bezieht. Tatsächlich würde ich gerne das Einleitungskapitel das erste Kapitel von seiner Monographie intensiver exzerpieren.

Bearbeitete Texte

  • Sascha Seiler: Zwischen Anwesenheit und Abwesenheit, Stuttgart 2016.
  • Monika Schmitz-Emans: Schrift und Abwesenheit, München 1995.
  • Nikolaus Müller-Schöll: Denken auf der Bühne. Derrida, Forsythe, Chétuane. In: Hans-Joachim Lenger, Georg Christoph Tholen (ed. by): Mnema. Derrida zum Andenken, Bielefeld 2015.
  • Sebastian Neußer: Die verborgene Präsenz des Künstlers, Bielefeld 2014
  • Wolfgang Ernst: Absenz, in: Karlheinz Barck et al.: Ästhetische Grundbegriffe, Band 1, Stuttgart 2010.
  • Gerald Siegmund: Abwesenheit, Bielefeld 2006.

  1. Schröter, Jens: Notizen zu einer Geschichte des Löschens. Am Beispiel von Video und Robert Rauschenbergs Erased de Kooning Drawing, in: Schuhmacher-Chilla, Doris (Hg.): Im Banne der Ungewissheit. Bilder zwischen Medien, Kunst und Menschen. Overhausen 2004, S. 171–194, hier S. 189. Zitiert nach Seiler, S. 35 ↩︎