Projektwoche Abwesenheit: Montag

Nachdem ich mit meiner Beschäftigung mit künstlerischer Forschung zu einem vorläufigen Abschluss gekommen bin, habe ich auch endlich einen großen Schritt zu einer Themenänderung gemacht. Ich gehe davon aus – auch wenn es noch nicht festgelegt ist –, dass sich mein Promotionsprojekt ab jetzt etwas mehr theoretisch ausrichten wird. Mehr dazu werde ich in einem anderen Blogpost schreiben. Diese Art der Arbeit ufert bei mir häufig aus1; um das so gut es geht einzugrenzen, möchte ich ihnen einen relativ strikten Rahmen geben:
Die Wochenprojekte⌗
Die Idee stammt von blinry: Die Beschäftigung mit einem Thema wird auf eine Woche eingegrenzt; am Freitag wird “released”, was dann nicht fertig ist, wird nicht mehr fertig. Deadlines funktionieren für mich sehr gut, deshalb möchte ich mich auf diese Art und Weise, und indem ich das hier auf dem Blog ankündige, etwas unter Druck setzen. Ich werde den Rahmen etwas anpassen: Montags möchte ich einen kurzen Blogpost veröffentlichen, in dem ich beschreibe, was ich schon weiß, was ich mir denke, was ich wissen will und wie ich vorgehen möchte; mittwochs einen Blogpost, in dem ich das bisherig Recherchierte zusammenfasse und noch offene Fragen sammele. Freitags soll ein abschließender Blogpost einen Überblick über das Gefundene und das Vermisste geben.
Das Thema⌗
Benjamin Sprick hat mich darauf hingewiesen, dass ich als nicht-performen-könnender Performer eine sehr interessante Situation habe und es nachgerade schade wäre, wenn ich diese Perspektive nicht mit einbezöge. Das heißt, der Themenkomplex des Nicht-Könnens, der Abwesenheit und ähnlichem, wird in meiner Arbeit wichtiger. Ich glaube mich daran erinnern zu können, dass das ein intensiv diskutiertes Thema in der Philosophie der letzten 50 Jahre ist. Ich bin mir noch nicht sicher, ob “Abwesenheit” genau das ist, was meine Thematik trifft, aber ich denke, dass es nah genug ist, um mir eine Woche zu genaueren Recherchen zu gönnen.
Was ich mir denke⌗
- Eine Schlagwortsammlung: Abwesenheit, Spur, Negation, Nichts, Telepräsenz, Nicht-Können, Depotenzialisierung, Verhinderung/Behinderung, Anwesenheit/Präsenz/Bühnenpräsenz, Scheitern, Aufhören, Lassen,
- Vermutete Autor*innen: Derrida, Deleuze?, Nancy?, Haraway (Körperlichkeit/Behinderung?), Verbeek (Telepräsenz: Cyborg-Intentionalität)
Abwesenheit ist ein recht interessanter Begriff, weil es da letztlich nicht nur darum geht, dass etwas “nicht da” ist, sondern dass es gleichzeitig auf eine Art dennoch präsent ist – vielleicht, weil es vorher anwesend war, oder eigentlich anwesend sein sollte. Damit ist das Abwesende in gewisser Weise da und nicht da; hinterlässt ein Loch. Damit erscheint es als verwandt mit dem Begriff ’tot’, weil auch dieser nur von etwas ausgesagt werden kann, das vorher gelebt hat, oder dem zumindest eine Lebendigkeit zugesprochen hätte werden können: Der ’tote Winkel’ impliziert die Existenz eines “lebendigen”, einsehbaren Bereichs, und ist damit schon fast ein Vorwurf an den nicht einsehbaren Bereich.
Ich erinnere mich, in irgendeinem Zusammenhang (eventuell sogar ein Terry-Pratchett-Roman) von der Fähigkeit zur Verneinung und zum Kontrafaktischen als der den Menschen auszeichnenden Eigenschaft gelesen zu haben: Der Mensch kann nicht nur die Realität auffassen, sondern er kann sich auch eine Alternative dazu ausdenken. Er kann nicht nur sagen, was ist, sondern auch, was nicht ist, er kann Verneinen. Auch die Verneinung ist so eine Art Abwesenheit: Etwas wird als “nicht” ausgesagt, aber damit wird letztlich doch das Positive, das in der Aussage verneint wird, aufgerufen. In die selbe Kerbe schlagen populärpsychologische Empfehlungen, Negationen seien zu vermeiden, da diese zunächst immer das Negierte aufriefen.
Der Themenbereich Depotenzialisierung/Behinderung ist verwandt, aber nicht das selbe. Behinderung führt zu Abwesenheit, ist aber ein weiteres – und konkreter gelebtes – Feld als Abwesenheit.
Was ich schon weiß⌗
Derrida hat spannende Sachen über den Begriff “Spur” gedacht, die wahrscheinlich sehr nah an dem sind, was ich mir über Abwesenheit denke. Eventuell kommt da auch sein Denken zu Zitation hinein. Peter-Paul Verbeeks Erweiterung von Don Ihdes Intentionalitätsbegriff könnte in die Telepräsenz-Thematik hereinspielen, ist aber eher eine Tangente.
Was ich wissen möchte⌗
Gibt es in der neueren Philosophie oder Kulturtheorie wichtige Denker*innen zum Thema Abwesenheit? Was haben die gedacht? Wie kann ich das verwenden?
Es wird sinnvoll sein, im Kopf zu behalten, dass diese Recherche Mittel zum Zweck ist und nicht Selbstzweck: Wie können diese Perspektiven meine Arbeit bereichern? Wie kann ich daran künstlerisch, oder zumindest künstlerisch-theoretisch, anknüpfen?
Wie ich vorgehen möchte⌗
- In verschiedenen Portalen, beispielsweise Philpapers, der Bibliothek der Fernuniversität Hagen oder jstor, nach den Schlagwort suchen
- Natürlich als Ideengeber Wikipedia
- In meiner Philosophie-Bubble auf Social Media nach der Thematik fragen
- Eventuell finde ich Kunstwerke, die sich bereits mit der Thematik auseinandersetzen.
- Sammeln, lesen, schreiben, verarbeiten, eventuell eine kleine Videoperformance oder ein anderes Werk entwerfen
-
Über meinen Enthusiasmus der Theorie habe ich im letzten Blogpost geschrieben. ↩︎