Eine Ausstellung als Künstlerische Forschung
Zu meinem Einstieg in das Thema Abwesehneit habe ich auf meiner Webseite eine Online-Ausstellung zu diesem Thema organisiert. Ich habe auf Mastodon dazu aufgerufen, mir Bilder von Abwesenheit zu schicken, diese dann gruppiert und mit einigen fremden und eigenen Gedanken versehen.
Meine Rolle⌗
Mit dem Begriff ‘Ausstellung’ stelle ich mich in die Rolle des Kurators. Damit bin ich nicht direkt künstlerisch tätig, sondern organisiere, sammle und veröffentliche Werke von anderen Kunstschaffenden. Ich vermute, dass es aktuellere Konzeptionen von Ausstellungen gibt, die der Kuratorin einen aktiveren, künstlerischeren Part zuweisen, und in der Tat denke ich, dass meine Rolle sehr aktiv war – vor allem im Vergleich zu den künstlerisch Teilnehmenden, die mir größtenteils (und teils etwas wahllos, also ohne selbst auszuwählen) bereits existierende Photographien zugeschickt haben. Ich habe also aus Material ausgewählt und angeordnet, und dadurch Sinn gestiftet.
Künstlerische Forschung?⌗
Dass ich künstlerisch tätig war, lässt sich also argumentativ vertreten. Wo aber finde ich Forschung? Allein schon die Strukturierungsleistung hat mir die Möglichkeit gegeben, genauer über das Thema nachzudenken, und eben auch eine Systematik und unterschiedliche Kategorien von Abwesenheit herauszuarbeiten. Ich habe die Ausstellung mit einigen fremden und eigenen kurzen Texten ergänzt; die Texte selbst waren nicht neu, aber die Zuordnung zu den Bildern war es. Dieses In-Beziehung-Setzen der Texte, Bilder und Kategorien war ein Anknüpfungspunkt für Überlegungen, die mein Verständnis jedes einzelnen dieser drei vertieft hat. Wenn ich künstlerische Forschung in diesem Projekt finden will, dann in diesem Aspekt.
Forschung des Publikums⌗
Forscht nun das Publikum auch? Ich denke größtenteils ja. Dieses ‘Publikum’ lässt sich in zwei Gruppen aufteilen: diejenigen, die sich an der ursprünglichen Sammlung beteiligt haben (selbst wenn sie nur nach einem Bild zum Thema Abwesenheit gesucht haben, dann aber kein Bild beigetragen haben) und damit aktiv geworden sind, und diejenigen, die dies nicht getan haben und damit ‘reine’ Rezipient*innen sind.
Erstere dürften einen ähnlichen Prozess wie ich durchlebt haben: Allein durch die Überlegung, welches Bild passen könnte und welches nicht, welche Bilder eventuell zu privat oder nicht gut verständlich sind, haben sie sich mit ihrem Begriff der Abwesenheit auseinandergesetzt. Ich vermute, dass die meisten von ihnen auch die fertige Ausstellung angeschaut und wegen ihrer Involviertheit genauer hingesehen haben – vielleicht haben sie bei manchen Kategorien überlegt, ob ihr Bild nicht besser dort hineinpassen würde, ob eine andere Reihenfolge angemessener wäre, ob es ein weiteres sehr ähnliches Bild gibt. Damit sind die Forschungsprozesse, die bei mir vor sich gegangen sind, wahrscheinlich ähnlich bei ihnen abgelaufen. Hier spreche ich absichtlich nur von den Prozessen: Ich gehe davon aus, dass die Ergebnisse sehr unterschiedlich sind.
“I’m fascinated by the many meanings of absence. Each one plays a different note on my heart strings.” (Rückmeldung einer Teilnehmerin)
Von der Rezeption der zweiten Gruppe erwarte ich recht wenig: Für sie war es wahrscheinlich nur “noch eine weitere Webseite, die auf Social Media verlinkt wurde” die sie höchstens flüchtig durchgescrollt haben. Eventuell werden sie einige der Texte gelesen haben, über eins der Gedichte geschmunzelt haben oder kurz an den Beschreibungstexten hängen geblieben sein. Ich denke, dass ich dort keinen größeren Eindruck machen konnte; dass bei ihnen wenig neue Einsicht entstanden ist und deswegen in ihrem Fall eher nicht von Künstlerischer Forschung gesprochen werden kann.
Performativität⌗
Wo lässt sich nun die Performativität in diesem Projekt finden? Weiter oben ist mir, tatsächlich noch ganz ohne Blick auf Performativität, aufgefallen, dass ich eher die Prozesse als die Ergebnisse betrachten kann. Hier wurde nicht hergestellt, sondern durchlebt. Erika Fischer-Lichte schreibt in diesem Zusammenhang auch von “Ereignishaftigkeit”; der Vorgang ist interessanter als das, was auch immer produziert wird: Diejenigen, die nur das Produkt, die Webseite, konsumieren, erfahren nicht ‘das ganze Kunstwerk’; um dieses zu erfahren, muss eine Person an der Erstellung teilgenommen haben.
Ein weiterer Aspekt, in dem mein Projekt mit dem Performativitätskonzept Fischer-Lichtes konform geht, ist die aktivere Rolle des Publikums: Durch ihre Beteiligung wurden sie dazu angehalten, ihre eigenen Überlegungen anzustellen, selbst aktiv zu gestalten, und nicht nur zu rezipieren. Damit stelle ich nicht meine oder ihre Tätigkeit in das Licht der Performativität, sondern das Projekt als Ganzes: Wer Akteur und wer Publikum ist, wird verwischt; als Empfänger der Photos werde ich zum Rezipienten. Damit kann ich bei einer Analyse der Performativität nicht auf allein meine Tätigkeit oder allein auf die Tätigkeit des Publikums fokussieren. Wenn ich aber Fischer-Lichte wirklich folgen will, dann darf ich einen zentralen Aspekt von Performativität nicht vergessen: leibliche Ko-Präsenz. Diese ist explizit nicht gegeben, was ja auch eine der Pointen der Ausstellung ist – und auch meiner Dissertation sein wird.
Literatur:
- Erika Fischer-Lichte: Ästhetik des Performativen. Frankfurt am Main 2021.
- Dies: Performativität. Eine Einführung. Bielefeld 2012.