In einem früheren Blogpost bin ich der Frage nachgegangen, welche Art Wissen durch künstlerische Forschung entsteht. Anke Haarmann1 gibt Antworten auf diese Fragen; sie zeigt, dass selbst eine Erklärung, worin künstlerisches Forschen bestehe und welche Erkenntnisse dieses bringen könne, die von konkreten Beispielen ausgeht, “terminologisch befangen”[S. 26] sei; sie komme “offenbar nicht darum herum, die Problembegriffe der Forschung, Erkenntnis, Methode oder Einsicht schon vor ihrer vollständigen Klärung zu gebrauchen."[S. 27] Haarmann schlägt den Begriff ‘Einsicht’ vor, und ist sich der Probleme und Limitierungen, die sie sich damit einlädt, bewusst.[Vgl. S.29] Zudem geht sie auf einige andere mögliche Begriffe ein und erörtert daran ihre Konzeption der künstlerischen Forschung.

Zunächst kontrastiert Haarmann den Forschungsbegriff, assoziiert mit “methodische[r] Strenge”[S. 26], mit dem intuitiven Erkennen der Kunstpraxis[Vgl. S. 26f] – distanziert sich jedoch von dieser Dichotomie, indem sie darauf hinweist, dass auch in den Naturwissenschaften eine “intuitive Kunst in der Forschung zu entdecken”[S. 27] sei und “quasi-künstlerischen Verfahren”[S. 27] angewandt würden. Auch in den Künsten stoßen “wir nicht nur auf überschießende Bedeutungen und pathische Ergriffenheit […], sondern auch auf präzise Forschungsarbeit."[S. 27]

“Wie aber begreifen und benennen wir dann die forschenden Verfahren in der Kunst?"[S. 27]

Erkennen

Die Alternative ‘Erkennen’ zum Begriff ‘Forschung’ verwirft Haarman aufgrund der kunsthistorischen Konnotation mit der “ästhetische[n] Erfahrung der Betrachtenden […] und weniger [mit der] ästhetischen Praxis des Herausarbeitens”[S. 27f].

Erkenntnis und Einsicht

“Forschung als Tätigkeit führt zu Erkenntnis als Zustand, so klingt es."[S. 26]

Vom Begriff der Erkenntnis distanziert sich Haarman hingegen nicht: “›Erkenntnis‹, hier gedacht als Ergebnis der forschenden Praxis, schließlich der Begriff der ›Einsicht‹, hier gesetzt als spezifisch künstlerische Form der Erkenntnis, welche das Sehen im Begriff des Verstehens mit eingebettet hat”[S. 29]. Forschung ist also die Tätigkeit, Erkenntnis das Ergebnis dieser Tätigkeit, und Einsicht ist eine Sonderform von Erkenntnis – nämlich Erkenntnis durch künstlerische Forschung. (Hier zeigt sich Haarmanns Fokus auf visuelle Künste: Diese Einsicht ist mit voller Absicht vom Sehen abgeleitet.) Dieser letzte Begriff ist jedoch der zentrale; Einsicht sei gemeint nicht als “eine unvermittelte Erkenntnis […] im Modus der Plötzlichkeit”[S. 29], sondern als “Effekt einer methodischen künstlerischen Praxis in der Auseinandersetzung mit zu verstehender Welt begriffen werden. ›Einsicht‹ haben künstlerisch Forschende durch den Prozess ihrer Arbeit”[S. 29].

Erkenntnis durch Arbeit (Haarmann) vs. Erkenntnis durch Betrachtung (Historisch)

Haarmann stellt fest: “Historisch wurde in den Theorien über die Künste tatsächlich häufig von einem Erkenntnisgehalt ausgegangen, der den Werken innewohnt. Dieser Erkenntnisgehalt wurde allerdings als einer diskutiert, der sich durch die ästhetische Erfahrung der Betrachtenden vermittelt und weniger als einer, dem eine ästhetische Praxis des Herausarbeitens vorausging”[S. 27f] und berührt damit meine alte Frage, an welcher Stelle die Erkenntnis entsteht. Für sie ist offenbar die Erkenntnis der Kunstschaffenden das interessante an der künstlerischen Forschung – wobei sie im Begriff der ‘Mitvollziehbarkeit’[S. 28f] die Rezipient*innen nicht als Publikum fasst, sondern “als ein Kollegium, welches den Einsichtsprozess mitzuvollziehen in der Lage ist, weil es der symbolischen Terminologie künstlerischer Ausdrucksweisen mächtig ist”[S. 29]. Einsicht in der Kunst ist für Haarmann “parallel zum Begriff des ›Wissens‹ im Bereich der Naturwissenschaft oder dem Begriff der ›Erkenntnis‹ im Kontext der Philosophie”[S. 29] – wobei sie hier offensichtlich wieder vom Begriff der Erkenntnis in der Kunst abweicht, stattdessen Einsicht verwendet und die Erkenntnis der Philosophie zuordnet.

An ihrer Distanzierung vom historischen Erkenntnisbegriff, den sie mit der “ästhetischen Erfahrung der Betrachtenden”[S. 27] verbindet, und bei dem eben nicht herausgearbeitet wird, wird deutlich, wie sie mit ihrem praxologischen Ansatz das Augenmerk auf die “Erkenntnisprozesse[…] und nicht [die] Erkenntnisgehalte[…] der Kunst”[S. 28] legt.

Wissen

Aufgrund seiner Herkunft von “woida – ich habe gesehen”[S. 29] sei ‘Wissen’ ebenfalls ein guter Kandidat, seine Etymologie tritt für den deutschen Sprachraum jedoch nicht so deutlich hervor wie der Begriff ‘Einsicht’.

Nous

Auch der altgriechische Begriff nous lässt sich mit ‘Einsicht’ übersetzen; trägt jedoch eine stärkere Konnotation mit Spontaneität; mit einer plötzlichen Intuition. Dies ermöglicht Haarmann, eine wichtige Abgrenzung zu erörtern: Künstlerische Forschung ist kein plötzlich-intuitiver Erkenntnisgewinn, sondern “methodische und mitvollziehbare Einsicht auf der Grundlage künstlerischen Forschens”[S. 30] – eben wie bereits erwähnt ein Herausarbeiten.

“Dieser spontane Erkenntnisgewinn durch ästhetische Erfahrung angesichts von Kunstwerken soll hier nicht in Frage gestellt werden. Allerdings interessiert er für die Frage nach dem künstlerischen Forschen nicht.”

Forschung

Dem Begriff ‘Forschung’ widmet Haarmann einen längeren Abschnitt; der wichtigste Aspekt ist auch dort auf dem Herausarbeiten: “eine Praxis des Tätigseins”[S. 29]. Dies zieht sich durch das gesamte Praxologie-Kapitel und ist dessen wichtigster Punkt: Forschung ist eine Tätigkeit, sodass auch künstlerische Forschung als Tätigkeit gefasst werden muss.


  1. Ich beziehe mich im folgenden auf Haarmann, Anke: Artistic Research. Eine epistemologische Ästhetik. Bielefeld 2019. ↩︎